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Chronische Erkrankungen können sich auf die gesamte Lebenssituation der Patienten und ihrer Familien auswirken und im Alltag Probleme bereiten. Insbesondere bei seltenen Erkrankungen ist oft schon der Weg zur Diagnose sehr lang und schwierig, da viele Ärzte diese Erkrankungen nicht kennen. In der Öffentlichkeit und im sozialen Umfeld werden seltene Erkrankungen häufig aus Unwissenheit nicht richtig eingeschätzt und dadurch leider auch nicht ernst genommen. Deshalb ist es auch wichtig, dass Patienten und ihre Familien bei Fragen und Problemen kompetente Ansprechpartner im Rahmen einer psychosozialen Betreuung in Anspruch nehmen können.
Die psychosoziale Betreuung kann Patienten und deren Angehörige dabei unterstützen, Bewältigungsstrategien für ihren Umgang mit einer chronischen, schmerzhaften und damit beeinträchtigenden Erkrankung zu entwickeln. Für alle Beteiligten ist dies ein (lebens)langer Prozess, der ebenso „schubweise“ verlaufen kann wie die Erkrankung selbst.
Kostenlose Beratung durch die dsai e.V. – Patientenorganisation für angeborene Immundefekte
Seit mittlerweile 30 Jahren macht sich die dsai für Menschen mit einem angeborenen Immundefekt und Autoinflammationserkrankungen stark. Sie hilft Patienten und Angehörigen dabei beim Umgang mit der Krankheit, pflegt ein umfangreiches Netzwerk und setzt sich engagiert dafür ein, dass die seltenen Erkrankungen rechtzeitig diagnostiziert und angemessen behandelt werden.
Hier geht’s zur Website: https://www.dsai.de/
Sandra Lopes ist die Ansprechpartnerin für Autoinflammationspatienten und erzählt in diesem Podcast nicht nur ihre ganz persönliche Geschichte, wie sie zur dsai e.V. kam, sondern erklärt auch, wie sich die dsai e.V. für Patienten mit autoinflammatorischen Erkrankungen einsetzt.
Podcast: Markus Holzapfel und Sandra Lopes im Gespräch
Unterstützung bei Ängsten und Sorgen nach der Diagnose
Wenn Sie als Patient oder als Eltern erfahren, dass eine autoinflammatorische Erkrankung genetisch bedingt ist und ein Leben lang andauert, löst dies viele Fragen, aber natürlich auch Ängste und Sorgen aus. Was bedeutet das z. B. für unser Kind, für unseren Alltag, für unsere gesamte Familie? Die Unklarheit über den weiteren Verlauf der Erkrankung kann sehr belastend sein. Nicht selten führt eine genetisch bedingte Diagnose auch zu Schuldgefühlen bei den Eltern.
Um diesen Fragen und Sorgen einen angemessenen Raum zu bieten, ist eine individuelle psychosoziale Betreuung für Patienten und deren Angehörige von Beginn an sinnvoll. Dabei können Ansprechpartner wie Psychologen, Psychotherapeuten oder Sozialpädagogen Beratung, Begleitung und Unterstützung bieten. Dies gilt für den Umgang aller Familienmitglieder mit der Erkrankung. Denn wenn ein Kind/Angehöriger einer Familie erkrankt ist, betrifft dies immer die ganze Familie.
Spezielle Begleitung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen
Kinder und Jugendliche durchlaufen in ihrer Entwicklung zum Erwachsensein viele Phasen, die hohe Anforderungen an sie stellen. Eine chronische autoinflammatorische Erkrankung bedeutet für die Erkrankten eine zusätzliche Herausforderung: Neben den ihrem Alter entsprechenden Entwicklungsphasen müssen sie ihren Alltag immer zusätzlich mit der Erkrankung bewältigen. Es gilt, eine Alltagsroutine mit der Erkrankung zu finden und sich mit möglichen Einschränkungen und täglichen Behandlungsanforderungen zu arrangieren. Ziel ist es, der Erkrankung den Stellenwert einzuräumen, den sie benötigt, aber auch Zeit und Gelegenheit für ein Leben neben der Erkrankung zu finden.
Während im Kindergartenalter das Leben im Hier und Jetzt stattfindet, z. B. das Spiel mit den Freunden oder der Kontakt mit den Eltern im Vordergrund stehen, sind für die Jugendlichen Themen wie Ausbildung, Freundschaften, Sexualität und später die eigene Familienplanung wichtig. Hinzu kommt die Frage: Wie gestalte ich meine Zukunft mit einer chronischen Erkrankung, die mich mein Leben lang begleiten wird? Kann ich ein Leben außerhalb meiner Familie meistern? Was brauche ich dazu? Alle diese Aspekte stehen mit der Erkrankung im Zusammenhang, gehen aber weit über rein medizinische Fragestellungen hinaus.
Wenn Ihr Kind in einem spezialisierten Zentrum oder einer Klinik(ambulanz) betreut wird, kann der psychosoziale Dienst der Klinik Ihnen und Ihrem Kind bei diesen Fragen zur Seite stehen. Sollte es in Ihrer Klinik oder Ambulanz keine psychosoziale Betreuung geben, finden Sie weitere Ansprechpartner im Abschnitt „Wer bietet generell Rat und Unterstützung?“
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In den meisten Fällen besuchen Kinder mit autoinflammatorischen Erkrankungen einen Regelkindergarten bzw. eine Regelschule. In der Schule können bei Bedarf Unterstützungsmöglichkeiten mit den Lehrkräften besprochen werden (Nachteilsausgleich).
Inzwischen gibt es in einigen Schulen (vor allem in Gymnasien) Lehr- und Betreuungskräfte, die speziell für die Anforderungen chronisch kranker Kinder ausgebildet sind. Als Ansprechpartner in Schulen stehen außerdem häufig Sozialpädagogen zur Verfügung (Schulsozialarbeit), die auch Kinder mit chronischen Erkrankungen speziell unterstützen können. Sollte es in der Regelschule Probleme geben, so können sich Eltern und Schulkinder an die Klinikschule oder den psychosozialen Dienst der betreuenden Klinik wenden. Die Klinikschulen gehören übrigens zu den sogenannten „Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren“.
Beratung bei sozialrechtlichen Fragen
Familien, in denen ein Mitglied eine autoinflammatorische Erkrankung hat, müssen außergewöhnliche Belastungen meistern, z. B. in Form von Betreuungszeiten oder finanziellem Aufwand. Es können beispielsweise Kosten für weite Anfahrtswege zum Behandlungszentrum, für Behandlungen selbst und für andere unterstützende Maßnahmen entstehen. Bei der Klärung, welchen Anspruch Familien auf Unterstützung haben, kann Ihnen der psychosoziale Dienst der Kinder- und Jugendkliniken helfen. Für erwachsene Patienten gibt es während stationären Klinikaufenthalten die Möglichkeit, Kontakt mit dem Sozialdienst aufzunehmen.
Beratung bei beruflichen Fragen
Zu Fragen, die Ihre Berufstätigkeit betreffen, erhalten Sie Informationen bei der Agentur für Arbeit. Für Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen gibt es dort eine spezielle Reha-Beratungsstelle. Um diese Beratungsstelle nutzen zu können, muss man entweder einen Schwerbehindertenausweis haben oder eine ärztliche Bescheinigung über eine chronische Erkrankung vorlegen. Im zweiten Fall ist dann noch eine amtsärztliche Untersuchung notwendig. Dabei wird festgestellt, ob man aufgrund der chronischen Erkrankung besondere Unterstützung im Berufsleben bekommen sollte.
Falls Sie einen Schwerbehindertenausweis besitzen, können Sie sich auch an den Sozialverband VdK (Mitgliedschaft notwendig) oder den örtlichen Integrationsfachdienst wenden. Die Adressen der Integrationsfachdienste finden Sie in dieser Datenbank. Der Integrationsfachdienst unterstützt Menschen mit Behinderung und deren Arbeitgeber bei allen Fragen rund um das Arbeits- und Ausbildungsverhältnis. Außerdem hilft er bei der beruflichen Orientierung von Schülern mit besonderem Unterstützungsbedarf und von Beschäftigten der Werkstätten für behinderte Menschen.
Wer bietet „generell“ Rat und Unterstützung?
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Fragen Sie Ihre behandelnden Ärzte, welche Möglichkeiten der Betreuung es für Sie oder Ihr Kind vor Ort gibt. In Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin kommt z. B. der psychosoziale Dienst infrage. Für erwachsene Patienten gibt es während stationären Klinikaufenthalten die Möglichkeit, Kontakt mit dem Sozialdienst aufzunehmen. Dieser kann über existierende Unterstützungsstrukturen informieren. Auch in Reha-Kliniken gibt es Sozialpädagogen und Psychologen, die Ihnen Auskunft zu Unterstützungsmöglichkeiten geben können. Im Rahmen von ambulanten Behandlungen übernimmt in manchen Kliniken die Klinikseelsorge die Aufgaben des psychosozialen Dienstes.
Für Familien kommt auch das Jugendamt als Ansprechpartner infrage. Es bietet verschiedene Hilfsmöglichkeiten sowohl für die gesamte Familie als auch speziell für Eltern oder Jugendliche an. Dazu gehört auch die Unterstützung bei Folgeproblemen, die aufgrund von chronischen Erkrankungen entstehen können.
Darüber hinaus gibt es psychologische Beratungsstellen, die bei Krisensituationen oder Problemlagen Unterstützung anbieten. Die Beratungsstellen stehen unter der Trägerschaft des Landratsamtes, der Diakonie, der Caritas oder anderen freien Trägern.
Beratungsstellen können Ihnen dabei helfen, einen geeigneten Weg aus einer schwierigen Situation zu finden. Diesen Weg bestimmen und gestalten vor allem Sie selbst. In Zusammenarbeit mit dem Berater wird jede Entscheidung gemeinsam getroffen.
Es gibt je nach Fragestellung oder Problemlage spezialisierte Beratungsstellen:
- Familienberatung
- Lebensberatung
- Eheberatung
- Beratung für Kinder
- Beratung für Jugendliche
- Beratung für Eltern
- Und auch: Beratungen für chronische Krankheiten
Um eine für Ihre Situation geeignete Beratungsstelle in Ihrer Nähe zu finden, können Sie z. B. die Datenbank der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugend- und Eheberatung e. V. (DAJEB) nutzen: www.dajeb.de/.
Handelt es sich bei Ihnen um eine Beratung für chronische Krankheiten, kann Ihr Berater Kontakt zu Ihrem behandelnden Arzt aufnehmen, um durch einen Informationsaustausch die bestmögliche Beratung zu gewährleisten – natürlich nur, wenn Sie beiden Seiten eine Entbindung der Schweigepflicht erteilen. Für allgemeine Informationen über Ihre Erkrankung können Sie dem Berater beispielsweise diese Website empfehlen.
Sie können jederzeit telefonischen Kontakt zu einer Beratungsstelle aufnehmen. Eine ärztliche Überweisung ist nicht notwendig. Während des Telefonates wird ein Termin vereinbart, um sich besser kennenzulernen und gemeinsam zu entscheiden, ob die Beratung, Berater/in und Beratungsstelle sinnvoll und passend erscheinen.
Die Beratung ist individuell gestaltbar und kann einige Tage oder mehrere Monate andauern. Die Kosten für die Beratung werden nicht von den gesetzlichen und privaten Krankenkassen übernommen. Viele Beratungen sind kostenfrei, informieren Sie sich aber vorher über die Kosten, die möglicherweise entstehen können.
Falls Sie kein direktes Beratungsgespräch führen möchten, gibt es auch die Möglichkeit der anonymen Online-Beratung oder der telefonischen Beratung.
Neben der Beratung in psychologischen Beratungsstellen kann auch eine Psychotherapie sehr hilfreich sein. Sie ermöglicht eine kontinuierliche Begleitung. Im Rahmen der Psychotherapie können beispielsweise Techniken zur Bewältigung von schwierigen Situationen im Alltag erlernt werden.
Stand: 23.05.2017
Autor: Gabi Erbis (Diplom-Pädagogin, systemische Familientherapeutin), Dr. Ruth Wissler, Dr. med. Susanne Rödel
Quellen:
- Autoinflammation Reference Center Tübingen (arcT) https://www.medizin.uni-tuebingen.de/de/Presse_Aktuell/Einrichtungen+A+bis+Z/Zentren/Rheumazentrum+%E2%80%93+INDIRA/Autoinflammation+Reference+Center+T%C3%BCbingen+(arcT)+.html (zuletzt besucht am 09.11.2018).
- Psychosoziale Betreuung (Sozialpädagogik) http://www.klinikum.uni-muenchen.de/Integriertes-Sozialpaediatrisches-Zentrum-im-Dr-von-Haunerschen-Kinderspital/de/spektrum/therapiemoeglichkeiten/psychosoziale-betreuung/index.html (zuletzt besucht am 09.11.2018).
- Groeneveld B, Moeser-Jantke F: Psychologische Beratung hilft … Broschüre der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugend- und Eheberatung e.V. (DAJEB). https://www.dajeb.de/publikationen/bestellungen (zuletzt besucht am 12.11.2018).